Bayern München entlässt Trainer Ancelotti. Auch sein Team muss gehen.

 Ein Millionär wurde mit einer Millionenabfindung in die Arbeitslosigkeit entlassen.

 

 

Die Süddeutsche Zeitung berichtete darüber am 8. Oktober 2017 unter der Überschrift:

 

 

„Einblicke in eine sehr verletzte Seele“

 

 

Zu dieser Überschrift ist mir folgender Text eingefallen.

 

 

Neue Tapeten sind nicht so wichtig

 


 

„Horst, Bernd, Gerhard – auf zum Chef – sofort.“

 

 

Ich war vielleicht fünf Jahre alt, im Keller meiner Oma, ich öffne die Tür zum Kohlenkeller. Genau wieder dieses ungute Gefühl, diese Beklemmung, diese kalten Hände, die mein Herz fest umschließen, ich bin wieder fünf.

 

Ich schaue hoch zum Glaskäfig. Schon hunderte Male habe ich ihn dort hinter der schmutzigen Scheibe stehen sehen, Hände in den Hosentaschen, ohne Regung, totaler Überblick. Auch jetzt steht er dort. Es fühlt sich heute anders an. Kalt, fremd, bedrohlich.

 

Ich bin seit 8 Jahren hier im Lager. Bernd und Gerhard schon viel länger. Jeder von uns ist schon die ölverschmierte Eisentreppe zum Käfig hinauf gestiegen. Nie gab es eine Gehaltserhöhung, nie ein Lob. Anschiss, laut, zackig, direkt. Erklärung oder Widerspruch - größter Fehler, den man machen kann.

 

 „Ok, Chef. Mach ich. Kommt nicht mehr vor. Versprech ich . . . .“

 

 *

 

Auf dem Weg nach unten, wenn dann die Hand über den kalten Handlauf gleitet, läßt der Druck in der Magengegend mit jedem Schritt mehr nach. Dann bin ich wieder in meiner Welt, kenne mich aus, tauche ein in den Lärm der Maschinen und umherfahrenden Gabelstapler, den Rufen meiner Kollegen.

 

Wenn ich mir dann im Büro vom Meister den nächsten Auftrag abhole . . .

 

„Alles in Ordnung?"  schnauzt mich Leo an, eingequetscht mit seinem dicken Bauch hinter seinem schäbigen Schreibtisch.

 

„Leo, du kennst ihn doch. Wenn er nicht jeden Tag einen von zur Schnecke machen kann, ist er krank.“

 

Leo ist in Ordnung. `Rau, aber herzlich´, dieser Spruch könnte für Leo erfunden worden sein.

 

„Raus, der LKW muss bis 15 Uhr geladen sein.“

 

„Nur mit der Ruhe, Leo, schaffen wir.“   

  

*

 

Heute ist es irgendwie anders. Warum habe ich kalte Hände? Und der Krach in der Halle liegt gedämpft über den Regalen, den Maschinen, über uns, es fühlt sich an, wie unter einer Decke.

 

Bernd und Gerhard stoppen ihre Stapler unter der Treppe.

 

Bernd ist unser “Intelektueller.“ Er trägt eine Brille mit runden Gläsern. Und nach dem 2. Bier kann er dir alles erklären. Hört ihm zwar niemand mehr zu, hat aber eine angenehme Stimme.

 

Und Gerhard, ihm ist eigentlich alles egal. Wenn er nur auf seinem Stapler sitzen und fahren kann. Da macht ihm niemand etwas vor. Seine dicken stoppellichen Wangen sind dann noch etwas dicker, weil die Mundwinkel sie nach oben drücken.

 

Die Mundwinkel zeigen jetzt nach unten.

 

 *

 

„Horst, was ist los?“

 

„Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung.“

 

Bernd schiebt mich vor. Steil ist diese verdammte Treppe. Bei jedem Schritt ziehe ich mich am Handlauf weiter. Kürzer als sonst, auch die Treppe hat sich verändert. Mein Blick hängt an jeder Trittstufe. Noch nie gesehen? Dabei kenne ich doch alle Farbflecke und Schrammen.

 

Ich stehe auf dem Podest vor der Tür, die beiden Kollegen schieben von hinten.

 

Ich schaue ihm durch die angelaufene Scheibe ins Gesicht, will ans Glas klopfen, er winkt uns herrisch herein.

 

 

„Moin Chef.“

Gerhard „Moin.“

Bernd „Guten Morgen, Herr Rumanofski.“

 

„Moin“.

 

Wir stehen vor seinem Schreibtisch. Jeder von uns hat die Hände wo anders. Meine halte ich hinter dem Rücken verschränkt, halte mich an mir fest.

 

Herr Rumanofski legt sich in seinem Chefsessel zurück. Hohe Rückenlehne, schwarzes Kunstleder, das Rückenteil wippt nach hinten. Die Arme liegen auf seinem Bauch, die Fingerspitzen gegeneinander gepresst.

 

„Ich will nicht drum herum reden. Die Konkurrenz macht uns immer mehr Probleme. Aufträge sind geplatzt. Wir müssen sparen, müssen uns von Personal trennen.  Deshalb muss ich euch zum Monatsende kündigen. Ihr seid zwar nette Jungs, arbeitet auch gut, aber mit zu vielen Arbeitern können wir im Wettbewerb nicht bestehen.  Ihr könnt jetzt schon Schluss machen. Räumt eure Spinde aus. Gebt eure Kontrollkarten beim Pförtner ab.

 

So, das war´s. Noch Fragen – nein. Ok.

 

Dann wünsche ich euch alles Gute. Auf Wiedersehen.“

 

"Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen."

 

*

 

Wir drehen uns um, einer nach dem anderen verlassen wir den Glaskäfig. Leise schließe ich die Tür. Gerhard bleibt ruckartig auf der Treppe stehen. Seine Augen irren durch die Halle. Er schüttelt kurz den Kopf, dann geht weiter.

 

Leo steht an der Tür zu seinem Büro. Es geht ihm nicht gut. Ich kann sein Gesicht lesen. Wir gehen zu ihm rüber.

 

„Es tut mir sehr leid.“ sagt er.

 

Er gibt jedem von uns die Hand. Hält sie vielleicht etwas länger als sonst, kann mich aber auch täuschen.

 

Wir haben noch kein Wort gesagt.

 

*

 

Muss Christa anrufen, wollten heute Nachmittag in den Baumarkt fahren und Tapeten für unser künftiges Kinderzimmer aussuchen. Müssen wir wohl vorerst verschieben.

 

*

 

Neue Tapeten sind nicht so wichtig.